Mordreds Tales
© 2010 – 2024 Marcel Wolters







 

Deja vú



Das Verbrechen ist allgegenwärtig. Das Verbrechen macht keine Unterschiede. Es stößt der alten Dame zu, der am Abend die Handtasche geraubt wird. Es vergreift sich am Mafiakronzeugen. Das Verbrechen macht vor dem Mädchen, das im dunklen Park vergewaltigt wird, ebenso wenig halt wie vor dem hart arbeitenden Ladenbesitzer, dessen Ersparnisse dem fiesen Bankräuber in die Hände fallen.

Das Verbrechen hat viele Gesichter, viele Hintergründe. Es gibt Verbrechen aus Leidenschaft. Die Gattin, die den untreuen Ehemann mit einer Flasche erschlägt. Es gibt Verbrechen aus Habgier. Der Bankräuber, der die Ersparnisse des Ladenbesitzers klaut. Es gibt Verbrechen, die einfach nur deshalb begangen werden, weil jemand die Welt brennen sehen will.

Louis hatte in zehn Dienstjahren bei der Mordkommission die verschiedensten Verbrechen gesehen. Bizarre Verbrechen. Brutale Verbrechen. Bizarre brutale Verbrechen. Es gab nichts, dachte er, was ihn noch wunderte. Und doch geschah genau dieses immer wieder.



Louis hatte Kopfschmerzen. Rückblickend betrachtet … war das der schlimmste Hangover seines bisherigen Lebens. Louis machte sich eine geistige Notiz für den nächsten Junggesellenabschied, am Tag danach frei zu nehmen. Und er notierte sich gleich daneben, nur noch eine Frau nach einer Party mit nachhause zu nehmen. Zwei Frauen auf einmal wurde allmählich anstrengend. Louis konnte es drehen und wenden, wie er wollte, er wurde zu alt für diesen Scheiß. Die Missbilligung in den Augen seines erzkonservativen Nachbarn, als Louis am Morgen seine Wohnung mit zwei wunderschönen Damen verließ, war die „Strapazen” der Nacht allerdings wert.

Louis' Partner Devon sah nicht viel besser aus.

„Lange Nacht?”, fragte Louis, als er im Büro ankam. „Siehst müde aus.”

Devon verzog das Gesicht und brummte unwillig.

„Kurze Nacht trifft's eher. Und Deine war nicht länger, so wie Du aus der Wäsche guckst.”

„Aber befriedigender als Deine, möchte ich wetten.”

Devon brummte erneut, stand auf, gab Louis eine Kopfnuss und zog ihn am Ohrläppchen hinter sich her.

„Der Captain will uns sehen. Sofort nach Deinem Eintreffen. Muss wichtig sein.”

„Ist es”, ertönte ein gepflegter Alt hinter den Detectives. „Schön, dass Sie es einrichten konnten, dann doch irgendwann zum Dienst zu erscheinen, Cifer.”

„Guten Morgen, Captain O'Hara!”, antwortete Louis freundlich, fröhlich und ausgesucht höflich. „Sie sehen wundervoll aus heute.” Louis zog kurz Luft durch die Nase. „Neues Parfüm? Joop? Und Sie haben eine wundervolle Stimme, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist. Singen Sie?”

Susan O'Hara sah Devon an, Devon gab Louis eine weitere Kopfnuss.

„Lass das!”, murrte Louis. „Sonst schleppe ich vor Deiner Hochzeit die Brautjungfern ab.”

O'Hara schloss die Tür zu ihrem Büro und wies auf zwei leere Stühle an ihrem Schreibtisch, bevor sie sich selbst setzte. Louis zog lässig mit dem Fuß einen der Stühle nach hinten.

„Bitte um Vergebung für die Verspätung”, sagte er immer noch grinsend, während er sich setzte.

Der Captain lächelte verständnisvoll und winkte ab.

„Geschenkt. Sie sehen aus, als wäre Ihre Nacht so kurz gewesen wie meine. Haben Sie überhaupt geschlafen?”

Die Antwort war ein Achselzucken.

„Sie?”, fragte Louis mit verschwörerischen Ton.

Susan O'Hara lachte selten. Ein Witz konnte ihr ein Kichern entlocken, aber ein lautes Lachen hatte auf dem Revier noch niemand von ihr gehört. Bis jetzt, wenngleich das Lachen kurz war.

„Es war ein Junggesellenabschied und ich bin Single, Cifer. Und da Sie ja anderweitige Begleitung hatten, konnte ich Ihre Pünktlichkeit leider nicht sicherstellen.”

So selten, wie der Captain lachte, waren auch die Augenblicke, in denen Louis sprachlos war. Man sagt, es gibt für alles ein erstes Mal und heute war für Devon Stanz der Tag der Premieren. Louis' Augen weiteten sich, er öffnete den Mund für eine geistreiche Entgegnung, brachte aber nichts raus.

„Na wenn das mal nicht schlagfertig war”, grinste Stanz.

Der Captain beachtete die Bemerkung nicht, sondern kam ohne Umschweife zum eigentlichen Thema, um Louis weitere Peinlichkeiten zu ersparen, wie sie später zu Protokoll gab.

„Ich ziehe Sie vom Parelli-Fall ab.”

Vor drei Tagen wurde im Fluss eine Leiche gefunden, die als Vincent Parelli identifiziert wurde. Der arme Vincent hatte einen Badeunfall erlitten, was wohl daran gelegen hatte, dass er mit Schuhe ins Wasser gesprungen wurde, die aus schnell härtendem Zement bestanden. Leider gab es in und um New York keine nennenswerten seismischen Aktivitäten, die Schuhe rechtzeitig hätten auseinanderbrechen lassen können.

„Haben wir was falsch gemacht?”, erkundigte sich Louis. „Wir waren SO dicht dran, Onkel Antonio den Badeunfall nachzuweisen.” Louis hielt Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen halben Zentimeter weit auseinander. Auch sein Partner wollte wissen, wem sie auf die Füße getreten waren, dass sie von Onkel Antonio der Nummer 3 der örtlichen Unterwelt ablassen sollten.

„Sie haben vor einem Jahr etwas falsch gemacht, Gentlemen”, erklärte O'Hara. „Das Grand Central erinnerte sich an ihre Diskretion und daran, wie schnell sie den Mord an dem Bankier aufklärten. Deshalb forderte der Hoteldirektor explizit Sie beide an.”

Die Detectives waren still. Vor einem Jahr wurde im Grand Central Hotel die Leiche des Bankiers Edwin Thomas gefunden. Devon und Louis brauchten einen Tag, um herauszufinden, dass die Schwester der Mörderin einst von dem braven Bankier vergewaltigt wurde und sich nach dessen Freispruch erhängte. Spät kam die Rache für die Tat, aber sie kam. Die Männer nickten. Offenbar wollte die Direktion Devon und Louis als Haus- und Hofermittler engagieren.

Louis öffnete zuerst den Mund: „Was haben wir diesmal?”

„Doppelmord. Ein Mann, eine Frau. Sie ist erfolg- und einflussreiche Immobilienmaklerin …”

„Doch nicht etwa die Deutsche?”, unterbrach Devon.

„Doch.”

Anette Oldenheimer kam vor neun Jahren aus Österreich in die USA und begann einen kometenhaften Aufstieg in der Immobilienbranche. Sie gewann schnell an Einfluss und da niemand den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich kannte oder kenne wollte, hieß sie landläufig einfach die Deutsche. Niemand wusste wirklich, warum die Oldenheimer so erfolgreich war, aber sie konnte sich trotzdem ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft ein großes Büro mitten in Manhattan leisten. Es wurde gemunkelt, dass sie sich gelegentlich dunkler Kanäle bediente. Vielleicht, dachte Louis, könnte man den Mord an ihr sogar Onkel Antonio anhängen.

„OK, sind unterwegs”, sagte Louis schnell und stand auf. Viel mehr würde er hier ohnehin nicht erfahren.

„Schön, dass die Damen genug Energie für Ihren Job zurückgelassen haben”, rief der Captain Louis hinterher. Der drehte sich um und grinste wortlos. Er mochte allmählich zu alt für zwei Damen zur selben Zeit werden, aber so alt war er nun auch nicht. Die Detectives wollten gerade die Tür schließen, als der Captain sie zurückhielt.

„Gentlemen, das Büro des Bürgermeisters gab mir zu verstehen, dass man schnelle und vor allem diskrete Ergebnisse erwarte.”

***


Man sagt, es ziehe einen Verbrecher stets zum Tatort zurück. Für Louis hatte es den Anschein, dass diese Aussage auch für Ermittler gilt, denn das Zimmer, in dem die Toten gefunden wurden, kam ihm bekannt vor.

„Erinnere mich bitte daran, der Direktion zu raten, Zimmer 348 nicht wieder zu vermieten. Auf dem Zimmer liegt ein Fluch.”

Sein Partner sah Louis verwirrt an. Wäre das Leben ein Cartoon, stünde über Devons Kopf jetzt ein großes Fragezeichen.

„Der Bankier vor einem Jahr”, versuchte Louis, seinem Partner auf die Sprünge zu helfen. „Gleiches Hotel, gleiches Zimmer.”

„Oh!”

Louis blieb in der Tür stehen und sah sich um. Auf dem Bett lag die Leiche einer Frau. Ihr langes blondes Haar lag unordentlich über ihren Schultern. Ihr Gesicht lag im blutverschmierte Kissen, die Arme lagen neben ihrem Kopf, als hätte sie sich vor ihrem Tod auf ihre Hände gestützt. Etwa eineinhalb Meter vom Bett entfernt lag ein untersetzter Mann, der im Gegensatz zur Frau bis auf die Hosen bekleidet war, in einer Blutlache. Sein weißes Hemd war rote vom Blut, das aus einem Loch in der Brust geflossen war.

„Warum können die Menschen nicht einfach Freunde sein?”, dachte Louis laut.

„Weil wir sonst arbeitslos wären”, antwortete eine Frauenstimme. „Hast Du die Nacht gut überstanden?”

„Habe ich, liebste Margaret, danke der Nachfrage. Wenngleich ich zugeben muss, dass es in meinem Alter anstrengender wird, dafür zu sorgen, dass Dein Verlobter an seinem Junggesellenabschied allein nachhause geht.”

Maggie, die eben noch damit beschäftigt war, das Bett zu untersuchen, drehte sich um und lächelte.

„Vielleicht bringst Du Devon das nächste mal einfach nur nachhause, anstatt Dich zu opfern und die Dame, die es auf ihn abgesehen hat mit zu Dir zu nehmen.”

„Vielleicht”, entgegnete Louis schnippisch, „sorgst Du einfach dafür, dass es kein nächstes Mal gibt. Ich finde, eine Mrs. Stanz in Devons Leben reicht.”

Devon gab seinem Partner die dritte Kopfnuss an diesem Morgen, beugte sich zu Maggie herab und gab ihr einen Kuss.

„Hör nicht darauf, was der böse Onkel sagt.”

Louis verkniff sich eine Bemerkung und betrachtete die Leichen. Ein sauberer Schuss in den Hinterkopf bei der Frau und ein nicht ganz sauberes Loch in der Brust des Mannes. Die Deutsche wurde also offenbar hingerichtet, während der Ehemann schnell aus dem Weg geräumt werden musste. Die Situation ließ vermuten, dass Frau und Mann vor ihrem Tod Sex hatten. Zumindest würde das die vollständige Nacktheit der Toten und das Fehlen der Hose des Mannes erklären. Aber das war nur eine Vermutung.

„Der eifersüchtige Ehemann?”, fragte Devon.

„Keine Ahnung. Aber solange wir nicht wissen, wer der Mann ist, ist das eine etwas voreilige Spekulation.” Louis sah die Leiterin des Spurensicherungsteams an. „Habt Ihr eine Ahnung, wer der Mann ist, Maggie?”

„Der Ehemann. Seine Brieftasche mit Führerschein ist eingetütet.”

So viel zur Theorie über den eifersüchtigen Gatten. Bei einer Person wie der Deutschen musste man wahrscheinlich nicht lange nach Verdächtigen suchen. Ein kometenhafter Aufstieg bringt eine Menge Menschen mit sich, die etwas gegen den Aufsteigenden haben. Allerdings, dachte Lou, würde es vielleicht eine lange Suche werden den Täter aus der Liste der Verdächtigen zu filtern.

„War der Doc schon hier?”, unterbrach Devon Lous Gedanken.

„Hab ihn noch nicht gesehen. Wann wurden die beiden gefunden?”

„Meinen Informationen nach vor zwei Stunden, also kurz nach fünf. Und der Doc, ist hier”, erklang es von der Tür. „Sie müssen mir schon die Zeit lassen, den Weg hierher zu finden, meine Herren.”

Der Doc stopfte sich den letzten Bissen seines Frühstückbrötchens in den Mund und betrat das Zimmer. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Leichen, suchte auf dem Boden nach einer freien Stelle und stellte seine Tasche ab.

„Will jemand raten, woran die Verstorbenen gestorben sind?”

„Sie wurden vergiftet”, mutmaßte Louis scherzhaft. „Mit Blei würde ich sagen. Mich beschäftigt eher die Frage nach dem Wann.”

Der Doktor griff in seine Tasche und holte das Thermometer heraus.

„Haben wir gleich.”

Louis drehte sich zu seinem Partner um.

„Schon klar”, murrte Devon. „Ich befrage das Personal.”

„Wollte ich gerade übernehmen. Aber wir können 's uns teilen.”

Devon nickte und die Detectives machten sich auf den Weg in Richtung Lobby. „Gegen acht gestern Abend”, rief der Doktor ihnen nach. Devon hob dankend die Hand, während Louis den Aufzug rief.



„Die drei Stockwerke hätten wir laufen können”, sinnierte Devon, als sie unten ankamen.

„Spare Dir Deine Kraft”, entgegnete sein Partner und Lou's Grinsen konnte man entnehmen, dass ihm der Schalk im Nacken saß. „Du willst heiraten und wirst sie in der Hochzeitsnacht brauchen.”

Devons Hand zuckte und gab seinem Partner Kopfnuss Nummer vier an diesem Morgen.

„Wird vielleicht ein Rekord heute”, kommentierte Devon die Kopfnuss.

„Und Maggies Brautjungfer wird sich nicht beschweren.”

„Ich sorge dafür, dass sie den Brautstrauß fängt. Dann musst Du sehen, wie Du da wieder rauskommst.”

Ohne ein weiteres Wort ging Devon zur Bar. Worte waren unnötig. Auf die Frage ihres Captains, ob Lou und Devon sich je absprechen würde, antworteten sie nur knapp: „Nonverbal.”

Louis suchte die Rezeption auf. Wenn die Deutsche und ihr Gatte keinen Selbstmordpakt geschlossen hatten, und in Anbetracht des Fehlens einer Waffe am Tatort war das recht wahrscheinlich, musste es einen Dritten geben, der an der Rezeption vielleicht nach den beiden gefragt hatte.

„Zimmer 348?”, fragte die junge Dame hinter dem Counter. Lou überlegte, woher er sie kannte. Er hatte das Gesicht schon gesehen, aber ihm fiel nicht ein, wo und wann. „Ich selbst bin erst seit einer Stunde hier, aber ich sehe gerne in den Anmeldungen nach.”

„Das ist sehr freundlich, Mrs …”

„Redstone”, half ihm die Dame am Empfang aus und zeigte lächelnd auf das Namensschild an ihrer Bluse. „Ms. Redstone.”

„Oh!”, lächelte Louis. Dann schnippte er mit dem Finger. Der Penny war gefallen. „Das Metallica-Konzert vor einem Jahr! Jetzt weiß ich's wieder.”

Ms. Redstone sah erstaunt und verwirrt auf.

„Was?”

„Vor ziemlich genau einem Jahr, Metallica … Ich hob Sie hoch, damit Sie etwas sehen können. Und scheinbar begegnen wir uns immer unter unschönen Umständen.”

Das Gesicht der Dame klärte sich auf. Auch sie erinnerte sich an den netten Herren, der ihr gleich zweimal an jenem Tag zu Hilfe kam.

„Sie habe damals den Tod dieses Bankiers untersucht, richtig?”

„Genau. Sie sollten das Zimmer nicht mehr vermieten. Ist verflucht”, grinste Louis die junge Dame an.

„Scheint … so”, antwortete Lisa Redstone und wurde blass. „Für das Zimmer sind eine Annette Oldenheimer und ein Mr. … Richard Rizzi eingetragen. Sie sind … kurz nach fünf angekommen.”

„Richard Rizzi?”

Lisa Redstone nickte. Richard Rizzi … Louis' Meinung nach mussten Richards Eltern einen seltsamen Sinn für Humor gehabt haben. Vielleicht hatten sie auch etwas geraucht, als sie ihrem Sohn seinen Namen gaben. Das verstörte Gesicht des Mädchens an der Anmeldung untersagte ihm jedoch eine entsprechende Bemerkung. Für ihn war ohnehin interessanter, dass ein fremder Mann mit der Oldenheimer eincheckte und nicht der Ehemann.

„Kannten Sie Mr. Rizzi?”, fragte Louis.

Lisa schüttelte den Kopf.

„Nei … nein”, stammelte sie. „Es ist nur … ich …”

„Sie haben letztes Jahr den Bankier im selben Zimmer, ich erinnere mich. Und jetzt gab es dort wieder einen Mord. Verstehe ich.”

Lisa schloss kurz die Augen und nickte.

„Gut, ich lasse Sie den Schock erst einmal verdauen. Wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich. Wenn Sie mir nur noch sagen könnte, wer gestern Nachmittag und Abend Dienst hatte …”

„Ray”, antwortete Lisa leise. „Ray Hamish.”

„Danke.”

Louis drückte kurz aufmunternd Lisas Hand und ging. Nach zwei Schritten drehte er sich noch einmal um.

„Vor einem Jahr waren Sie Zimmermädchen. Befördert worden?”

Lisa nickt noch einmal mit einem dünnen Lächeln. Louis nickt noch einmal, lächelte und hob grüßend die Hand. Dann suchte er den Raum des Sicherheitsdienstes.



„Nur autorisiertes Personal”, blubberte ihm ein schrankartiger Mann entgegen, als Louis die Tür zum Büro des Sicherheitsdienstes öffnen wollte. Louis legte den Kopf in den Nacken, um das Gesicht des Schrankes sehen zu können und hob seine Dienstmarke vor dessen Gesicht.

„Bin vielleicht kein Personal aber ganz sicher autorisiert.”

Der Schrank hob entschuldigend die Hände und drückte auf die Klinke der Bürotür. Ein Afroamerikaner in einem schwarzen Anzug drehte sich auf seinem Stuhl um. Lou hob noch einmal seine Marke.

„Sie sind wegen der Toten hier, richtig?”, fragte der Mann im Anzug. „Ich bin Will Seymour, die Tagschicht in der Security. Ich werde Ihnen wohl nicht viel sagen können, bin ja …”

„Erst seit 'ner Stunde hier”, vollendete Louis den Satz. „Schon klar. Aber ich würde gerne die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras ab 17 Uhr sehen.”

„Dachte ich mir. Ich mache gerade eine Kopie davon.”

„Und ich würde gerne mit dem Mann sprechen, der gestern Abend für die Sicherheit zuständig war.”

„Mitch Adams”, sagte der Sicherheitschef. „Hier ist seine Adresse. Die Dame, die die Toten gefunden hat, heißt Ramona Brown. Sie wurde ins General gebracht. Der Anblick hat sie ziemlich schockiert.”

Lou nickte und senkte einen Augenblick grübelnd den Kopf.

„Sie sind gut vorbereitet.”

„War nicht schwer zu erraten, was Sie brauchen.”

„Jede Unterstützung ist willkommen.”

„Ich bin für die Sicherheit zuständig. Ist mein Job.”

„Schön, nur die Art, wie Sie mir präsentieren, was ich brauche, könnte in mir den Verdacht aufkeimen lassen, Sie wollten mich loswerden.”

„Alles, was die Polizei hier schnell wegbringt, erleichtert mir meinen Job.”

Louis tat beleidigt.

„Hey! Die Polizei im Haus … Wie viel sicherer könnte das Hotel wohl sein?”

„Die Menschen werden nervös, wenn die Polizei durch's Haus stiefelt.”

„Ah!”

„Wollen Sie 'nen Kaffee, während der Computer die Überwachungsvideos brennt?” Der Sicherheitsmann reichte Louis grinsend eine Tasse mit heißem schwarzen Muntermacher. „Sehen aus, als könnten Sie einen gebrauchen.”

„Junggesellenabschied”, brummte Louis lächelnd und nahm die angebotene Tasse dankend an. Der Security-Chef nickte verständnisvoll, was Lou veranlasste zu betonen, dass er nur Gast war und Trauzeuge sein wird.



Devon hatte auch nicht mehr Glück als sein Partner. Natürlich war der Barkeeper vom Vorabend auch schon zuhause. Natürlich hatte niemand der anwesenden Gäste etwas bemerkt. Natürlich hatte niemand Lärm gehört. An Schüsse konnte sich erst recht niemand erinnern. Als er wieder mit Lou zusammentraf schüttelte er nur den Kopf.

„Wird nichts mit schnell und diskret.”

„Nein, diesmal wird’s Arbeit”, nickte Louis und hielt einen Stapel DVDs hoch. „Lass uns aufs Revier zurückfahren und ein bisschen fernsehen. Maggie und der Doc können uns nachher erzählen, was sie hier noch gefunden haben.”

„Also bei Dir auch Fehlanzeige?”

„Fast. Hab 'nen Namen. Die Deutsche hat mit einem Richard Rizzi eingecheckt. Familie Rizzi muss 'nen eigenartigen Sinn für Humor haben.”

„Wieso?” Lou sah seinen Partner verständnislos an. „Richard Rizzi? Ich könnte auch sagen, die haben zu viele Macaulay Culkin-Filme gesehen. Richie Rich? Kein Begriff?”

Devon grinste.

„Und Deine Eltern waren Teufelsanbeter, Lou Cifer.”

„Nimm Dich vor mir in Acht”, antwortete Lou mit verstellter Stimme.

„Lass das! Benutze lieber Deine dämonischen Kräfte, um den Fall zu lösen!”

„Habe ich schon. Der Name ist vermutlich falsch. Oder meinst Du, die Oldenheimer und ihr Gatte haben verschiedene Namen?”

„Warum nicht? Oldenheimer ist ein bekannter Name in der Immobilienbranche. Warum sollte sie den ändern? Jeder kennt sie als Annette Oldenheimer. Ist werbewirksamer unter dem Namen weiterzumachen. Außerdem ist es ein deutscher Name und der Ehemann war nicht deutschstämmig. Und warum sollte jemand mit der eigenen Ehefrau einchecken und einen falschen Namen benutzen?”

„Ein Spiel. Der Hauch des Verbotenen. Warum sollte überhaupt ein Ehepaar in der eigenen Stadt ein Hotelzimmer nehmen? Sofern sie nicht Termiten im Haus haben.”

***


„Lobby” stand auf der Disk, die Devon und Louis zuerst ins Laufwerk schoben.

„Hier müssten wir sehen, wie die Opfer das Hotel betreten.”

Lou spulte ein Stückchen vor, bis er die Tote erkannte, die auf dem Video gerade das Hotel betrat. Devon drückte auf Pause und zeigte auf den Mann neben der Deutschen.

„Ist eindeutig nicht der Ehemann.”

Louis nickte zustimmend.

„Hat vielleicht schon oben gewartet”, sinnierte Devon.

„Unwahrscheinlich. Er hätte wissen müssen, welches Zimmer die beiden nehmen.”

Devon legt den Kopf schief und ergab sich schließlich der Logik seines Kollegen.

„Hat vielleicht woanders gewartet. Ein flotter Dreier? Ein halblegales Geschäft zwischen den Dreien? Irgendwas ist schief gelaufen und der junge Kerl hier hat die Oldenheimer und ihren Mann umgelegt.”

„Dreier vielleicht. Das Geschäft? Eher nicht. Die Frau war nackt. Warum sollte sich eine Frau für ein Immobiliengeschäft ausziehen?”

„Der junge Kerl wollte es wie eine Vergewaltigung aussehen lassen.”

„Glaubst Du doch selbst nicht”, zweifelte Louis.

„Nein, tue ich nicht. Lass weiterlaufen.”

Louis ließ das Video weiterlaufen. „Besorg uns in der Zwischenzeit mal Hintergründe über die Toten.”

Lou stellte den schnellen Vorlauf an und konzentrierte sich auf das Video, während sein Partner an seinen Computer ging und wild auf die Tastatur hämmerte.

„Bin immer wieder erstaunt, dass was sinnvolles rauskommt, wenn Du so in die Tasten haust.”

Devon kicherte.

„Kann nicht jeder so computerunaffin sein wie Du.”

„Du und Deine versauten Wörter!”

„Anette Oldenheimer”, wechselte Dev das Thema. „38 Jahre, geboren in Salzburg. Hey, das ist nicht mal in Deutschland!”

„Nicht?”

„Österreich, Du Ignorant! Kam vor neun Jahren in die Staaten. Machte ein paar kleinere Immobiliengeschäfte und hatte ein halbes Jahre später ein Penthouse-Büro in Manhattan. Geschätztes Vermögen derzeit 93 Millionen Dollar. Verheiratet, keine Kinder.”

Louis pfiff leise.

„93 Millionen in neun Jahren? Oder hat sie die Kohle mitgebracht?”

Sein Partner schüttelte den Kopf.

„Nein, ein paar Tausend vielleicht. Vielleicht ein paar Zehntausend. Mehr nicht. Hat sie alles hier verdient. Vor zwei Jahren hat sie dann das zweite Opfer geheiratet. Valentino diLante. Zehn Jahre älter als Mrs. Oldenheimer. Hat seinen Namen behalten und … Hoppla! Stammt aus einem zwielichtigen Umfeld.”

„Dein zwielichtiges Umfeld hätte aber beide hingerichtet. Nur Mrs. Oldenheimer wurde in den Kopf geschossen.”

„Da ist was dran. DiLante hat eine interessante Geschichte. Ein paar Ermittlungen in Richtung organisiertes Verbrechen, diverse Anzeigen wegen Körperverletzung. Wurden alle zurückgezogen. Auch die, die seine Frau gestellt hat. Drei Anzeigen von ihr in den letzten sechs Monaten. Mehrere Anrufe bei der Polizei wegen Ruhestörung. Der Haussegen hing wohl verdammt schief.”

Die Detectives lehnten sich seufzend zurück. Der Background der Opfer brachte sie also nicht weiter. Der gewalttätige Ehemann hätte wohl nur die Frau erschossen und nicht sich selbst. Außerdem fehlte die Mordwaffe. Es war also ein unsichtbarer Dritter im Spiel. War der Ehemann zum falschen Zeitpunkt ins Zimmer gekommen und der Täter hatte ihn schnell als Zeuge für die Bluttat aus dem Weg geräumt? Devon zuckte nur mit den Schultern, als Louis seine Annahme äußerte. Lou zog die Augenbrauen nach oben und schüttelte den Kopf. Das war nicht mal ansatzweise eine Theorie, lediglich eine wilde Spekulation.

„Die Tote ist also gegen fünf ins Hotel gekommen und gegen acht gestorben.”

Devon sah seinen Partner fragend über die Computermonitore auf ihren Schreibtischen an. Lou blickte auf und nickte.

„Wir haben also erstmal ein Zeitfenster von drei Stunden”, fuhr Devon fort.

„Anderthalb Stunden”, korrigierte Lou Cifer. „Der Ehemann kam kurz vor halb sieben ins Hotel. Hatte 'ne heftige Diskussion mit dem Portier. Schade, dass die Dinger keinen Ton haben. Würde mich interessieren, was die beiden zu besprechen hatten.”

„Frag den Portier!”

„Sobald diese verdammten Kopfschmerzen weg sind. Und sobald ich 'nen ordentlichen Kaffee getrunken habe. Den Moment muss das alles Zeit haben.”

Devon grinste verständnisvoll und warf seinem Partner eine Packung Aspirin zu. Louis öffnete das Tablettenröhrchen und schüttete sich zwei Pillen in die Hand.

„Danke”, brummte er und verzog das Gesicht, als das Läuten seines Telefons seinen Schädel erfüllte.

„Apparat Cifer”, meldete sich Devon, der das Leid seines Partners nicht mit ansehen konnte.

„Ich bin's”, drang Maggies Stimme aus dem Hörer. „Ich habe was für euch.”



Die Detectives stiegen mit Kaffeebechern in der Hand aus dem Fahrstuhl im Kellergeschoss. Die Chefin der Tatortermittler grinste ihnen entgegen, streckte die Hand aus, als Lou und Devon in ihrer Reichweite waren und nahm dankend den Becher aus Louis' Hand.

„Hey!”

„Zu viel Koffein ist nicht gut für Dich, mein Lieber”, grinste sie Devons Trauzeugen an. „Solltest lieber etwas mehr schlafen.”

„Und Du solltest nicht so gemein zu mir sein, sonst komme ich nackt zu eurer Trauung.”

Devon drehte erschrocken den Kopf, wohl wissend, dass man seinem Partner solche durchaus zutrauen durfte. Maggie setzte ihren strengsten Blick auf, nahm einen Schluck Kaffee und prustete dann lachend los.

„Sei vorsichtig! Könnte meiner Mom gefallen!”

Bevor es zu einem längeren Geplänkel zwischen Braut und Trauzeuge kam, mischte Devon sich wieder ein.

„Was ist Dein Begehr, Süße?”

„Nichts, was hierher passt, Kleiner, aber ich habe da was für euch.”

„Nämlich?”

„Spermaspuren.”

„Damit war zu rechnen”

„Der Doc hat sie sowohl in der Vagina als auch im Anus der Toten gefunden. Die DNA stimmt mit der des Ehemannes nicht überein. Außerdem hat die Tatwaffe eine Geschichte.”

Maggie machte eine Pause und sah die Detectives bedeutsam an.

„Und … welche?”, half ihr Devon weiter.

Als Maggie immer noch zögerte, versprach Louis, ihr einen Kaffee zu spendieren, wenn sie Devon und ihn nicht weiter auf die Folter spannte.

„Klingt gut”, willigte Maggie ein. „Die Tatwaffe gehört dem getöteten Ehemann. Er war vor vier Monaten in eine Schießerei verwickelt. Jemand wollte ihn überfallen, er hat sich gewehrt. Deshalb ist seine Pistole in der Datenbank.”

Die Cops sahen sich an. Ein Ehepaar wurde mit der Waffe des Gatten erschossen und die Frau hatte vorher Sex mit einem anderen gehabt.

Louis war der erste, der seine Gedanken aussprach.

„Wilde Spekulation: Die Frau vögelt fremd, der Gatte kommt dazu, legt das untreue Weib um und der unsichtbare Dritte entringt ihm die Waffe und erschießt den Mann.”

„Andere Spekulation”, entgegnete Devon. „Der unsichtbare Dritte vergeht sich an der Ehefrau, der Ehemann kommt dazu, will die Frau retten, der Vergewaltiger reißt die Waffe an sich, erschießt den Ehemann ganz auf die Schnelle, um die Gefahr zu beseitigen und schießt der Frau dann in den Kopf, damit sie ihn nicht verpfeift.”

„Klingt ziemlich dünn.”

„Beide Spekulationen”, bestätigte Devon.

„Aber Deine scheint mir näher an der Wahrheit, Schatz”, ließ sich Maggie vernehmen. „Der Doktor hat Verletzungen im Intimbereich der Frau gefunden, die eine Vergewaltigung wahrscheinlich erscheinen lassen.”

„Mag sein”, warf Louis ein, „aber dieser Richard Rizzi, wenn das sein Name ist, sah nicht wie ein Vergewaltiger aus. Eher wie ein Geschäftsmann. Oder ein Anwalt. Wir sollten wirklich mit dem Concierge vom Abend reden. Und den Begleiter der Oldenheimer zur Fahndung ausschreiben. Ohne Namen, nur das Bild.”

Lous Partner nickte und die Männer gingen zum Aufzug.

„Sei so gut und gib eine Fahndung nach der Waffe raus, Maggie!”, bat Louis, als er mit seinem Partner den Fahrstuhl betrat.

„Wann darf ich mir meinen Kaffee abholen?”, rief Maggie hinterher.

„Was hältst Du denn da in der Hand?”, gab Louis grinsend zurück, als sich die Türe des Fahrstuhls schlossen.

***


Ray Hamish bewohnte ein billiges Appartement in Queens, nicht unbedingt in der Gegend, in der Devon und Louis jemanden mit irischen Wurzeln vermutet hätten.

„Die Leute hier sind in Ordnung”, bemerkte der Concierge des Grand Central Hotels. „Sie lassen mich entweder in Ruhe oder laden mich zum Thanks Giving Dinner ein. Die Wohnung kriegt keine 4 Sterne, ist aber preiswert. So kann ich mir ein bisschen was zurücklegen.”

„Ist einzusehen”, sagte Louis lächelnd. „Mr. Hamish …”

„Nennen Sie mich Ray.”

„Ray, wir müssen Ihnen ein paar Fragen zu Gästen stellen, die gestern während Ihres Dienstes im Hotel eincheckten.”

„Ich darf eigentlich keine Informationen über unsere Gäste weitergeben …”

„Und doch”, fuhr ihm Devon ins Wort, „haben Sie es gestern getan und Valentino diLante etwas gesteckt.”

Ray Hamish sah den Detective verwirrt an. „Valentino wer?”

„DiLante”, wiederholte Louis. „Der Ehemann von Mrs. Oldenheimer, die gestern gegen siebzehn Uhr mit einem gewissen Richard Rizzi im Hotel ankam. Ray, Mrs. Oldenheimer und ihr Gatte Mr. DiLante sind tot. Sie wurde ermordet.”

Ray Hamish, der gerade auf dem Weg zur Kaffeemaschine war, blieb wie angewurzelt stehen.

„Tot?”

„Ja. Deshalb müssen wir Sie um Ihre Hilfe bitten, Ray.”

„Gut … ja.” Ray setzte sich und holte tief Luft. „Was wollen Sie wissen?”

Devon hielt dem Hotelangestellten einen Ausdruck des Überwachungsvideos vor die Augen, auf dem Anette Oldenheimer mit ihrem Begleiter das Hotel betrat.

„Sie erkennen die beiden bestimmt. Haben Sie sie früher schon einmal gesehen?”

Ray schüttelte den Kopf. „Nein, ich sah sie gestern das erste Mal.”

„Den Ehemann der Toten vermutlich auch?”, fragte Louis indem er Ray einen zweiten Ausdruck hinhielt, auf dem dieser mit dem zweiten Opfer sprach.

„Das ist …? Ich dachte, der erste Mann wäre …”

„Nein”, stellte Louis klar, „das hier ist der Ehemann. Er wurde erschossen, wie die Frau. Sie hatten einen Disput mit ihm. Worüber sprachen Sie?”

„Er wollte wissen, auf welchem Zimmer die Frau ist. Ich hatte keine Ahnung, dass er der Ehemann ist. Er hat mir nur ein Foto gezeigt.”

„Haben Sie es ihm gesagt?”

„Nein”, antwortete der Concierge kopfschüttelnd. „Ich sagte ja schon, dass wir keine Auskunft über unsere Gäste geben dürfen. Das hat den Mann wütend gemacht.”

„Laut der Aufzeichnungen der Sicherheitskameras haben Sie ungefähr fünf Minuten mit dem Mann diskutiert.”

Ray Hamish zuckte mit den Schultern. „Er wollte nicht zuhören. Ich habe dem Typen wieder und wieder gesagt, dass ich keine Auskunft über Gäste geben darf und ihm deshalb auch nicht sagen darf, ob jemand bestimmtes im Hotel ist. Erst recht nicht, in welchem Zimmer. Aber er ließ sich nicht abwimmeln. Meinte, er weiß genau, dass diese Schlampe mit der Frau auf dem Foto im Hotel ist.”

„Verstehe”, nickt Louis. „Schlampe?”, fragte Devon. „Schlampe”, bestätigte Ray.

Lou kratzte sich nachdenklich am Kinn. Schlampe? Moment! War da etwas, was Devon Hintergrundrecherche verschwiegen hatte? Die Detectives warfen sich einen bedeutungsschwangeren Blick zu.

„Soweit wir wissen”, setzte Devon die Befragung fort, „kam die Frau mit einem Mann ins Hotel. Hatte vorher jemand für Zimmer 348 eingecheckt? Haben Sie gesehen, wann der Begleiter der Ermordeten das Hotel verließ?”

„Da war keine Frau. Nicht während meiner Schicht. Der Mann? Ging so … kurz nach acht. Ich kam gerade von einer Zigarettenpause wieder.”

„War etwas ungewöhnlich an dem Mann? War er unruhig, besonders cool, ging er außergewöhnlich schnell …”

Ray dachte nach. „Mir ist nichts aufgefallen. Er nickte mir zu und ging direkt zur Eingangstür. Eigentlich ganz normal. Ich dacte, er würde wohl später wiederkommen.”

„Sonst nicht?”

„Äh … nein, sonst nichts. Na ja, er sah sich überall um, aber sonst war da nichts.”

„Ist Ihnen gestern Abend sonst jemand aufgefallen?”

„Ich glaube, wir wissen fürs erste genug”, unterbrach Lou. Er gab dem Concierge seine Visitenkarte. „Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen, rufen Sie mich bitte an, Ray! Danke, dass Sie für uns Zeit hatten.”

„Gerne”, gab der Hotelangestellte zurück. „Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.”

„Um ehrlich zu sein”, sagte Louis und stand auf, „konnten Sie das nicht. Eigentlich haben wir jetzt mehr Fragen als vorher. Trotzdem danke. Bleiben Sie ruhig sitzen, wir finden schon raus.”

Devon und Louis gingen zur Tür. Bevor sie die Wohnung verließen, drehte sich Louis noch einmal um.

„Eine Frage hätte ich noch. Was glauben Sie, woher der Ehemann wusste, dass seine Frau auf jeden Fall im Hotel war?”

Ray zuckte mit den Schultern.



Auf dem Weg nach unten sah Devon seinen Partner an.

„Warum hast Du die Befragung abgebrochen?”

„Weil wir von Ray nichts mehr erfahren hätten.”

„Aber so haben wir, oder was?”

„Yepp! Wir wissen, dass Ray überhaupt nichts mit den Morden zu tun hat. Wir wissen, dass da die Toten waren und Richard Rizzi oder wie der heißt. Rizzi ist der Verdächtige numero uno, wenn Du mich fragst. Der Ehemann war wohl zur falschen Zeit am falschen Ort, weil ihm jemand gesteckt hat, dass seine Frau im Hotel war. Ray war's nicht. Er hat weder gezögert noch zu schnell geantwortet.”

„Also ist noch ein Unbekannter im Spiel.”

„Reden wir mit dem Wachmann von gestern Abend”, schlug Louis vor. „Ein aufmerksamer Wächter hat bestimmt was gesehen. Und wo die Security doch so auf Zack ist …”

„Du hast 'ne Adresse?”

„Yepp! Und mit Glück ist der Wachmann auf dem Revier, wenn wir da ankommen. Wenn nicht, haben wir Zeit, uns noch ein bisschen vom Überwachungsvideo anzusehen.”

Louis griff zu seinem Handy und wählte.

„Mr. Adams?”, fragte er nach einem Augenblick. „Hier spricht Detective Louis Cifer. Wir müssen Ihnen einige wichtige Fragen zum gestrigen Abend stellen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, aufs Revier zu kommen? Sagen wir … in einer Stunde? Sehr schön. Ich danke Ihnen.”

„Er kommt?”

„Er kommt.”

„Wir sollten uns aufteilen”, schlug Devon vor. „Ich übernehme den Wachmann, Du die Frau, die die Toten gefunden hat.”

„Sei nicht zu nett zu ihm.”

***


Ramona Brown war eine Sackgasse. Das Zimmermädchen hatte die Toten gefunden, um Hilfe gerufen und war dann weggetreten. Mehr konnte sie nicht sagen. Nichts. Nada. Louis fuhr zum Revier zurück. Devon saß an seinem Schreibtisch und starrte auf den Monitor.

„Sieh Dir das mal an!”, forderte er seinen Partner auf.

Der Monitor zeigte das Überwachungsvideo, die Uhr auf dem Video stand bei 20:06 Uhr. Der Mann, den sie bisher nur als Richard Rizzi kannten, verließ den Hotelaufzug und nickte dem Portier zu, genau wie Ray Hamish ausgesagt hatte, und lief auffällig gemessenen Schrittes auf dem Ausgang zu, sich dabei immer wieder nach links und rechts umsehend. Rizzi war deutlich anzusehen, dass er sich bewusst beherrschte, nicht schneller zu gehen.

„Reichlich nervös, oder?”

Devon nickte, hielt das Video an und zeigt auf das Jackett des Mannes. An der rechten Seite war eine deutliche Ausbuchtung zu sehen.

„Eine Waffe”, mutmaßte Louis. „Die Tatwaffe wahrscheinlich. Hat er noch nicht gehabt, als er ankam. Wenn ich mir die Länge der Ausbuchtung ansehe, würde ich sagen, sie hat 'nen Schalldämpfer. Oder es ist was Großes. 'ne .44er Magnum. Die hätte aber jemand gehört.”

„Sehe ich auch so.”

„Konntest Du vom Wachmann was erfahren?”

„War noch nicht hier.”

„Die Fahndung nach Rizzi oder der Waffe?”

„Nichts. Aber der Concierge hat noch einmal angerufen. Ihm fiel noch etwas ein. Die Oldenheimer hat ihren Begleiter mit Frank angesprochen.”

„So viel zu Richard Rizzi.”

Devon grinste mit der Überlegenheit eines erfahrenen Westmannes, der einem Greenhorn etwas bedeutsames erklären will.

„Und warum grinst Du jetzt so?”

„Frank Hobarth”, erkärte Devon, dessen Grinsen immer breiter wurde. „Bin die Führerscheindatenbank durchgegangen und habe den Computer unser Überwachungsfoto mit jedem Führerschein vergleichen lassen, der auf einen Frank ausgestellt ist. Der Mann heißt Frank Hobarth und ist Scheidungsanwalt.”

„Mit anderen Worten: Die Tote wollte sich scheiden lassen. Wenn ich wild spekulieren soll, ist sie lesbisch – deshalb die Schlampe, die der Ehemann erwähnte – und wollte die Sache mit ihrem Anwalt im Hotel besprechen. Vielleicht wollte sie dort auch unterkriechen, um ihrem Gatten zu entgehen. Du hast gesagt, er ist als gewalttätig bekannt. Der Gatte kam dazu, wurde wütend, erschoss die Frau und der Anwalt erschoss den Gatten.”

„Und die Spermaspuren?”

„Hab nicht gesagt, dass die Spekulation perfekt ist. Ich setze erst mal auf den Wachmann, sofern er irgendwann herkommt.”

„Wir könnten 'ne Streife hinschicken, die ihn herbringt.”

„Machen wir”, nickte Louis. „Ich will vorankommen.”

Devon griff zum Telefon.

***


„Cifer, Stanz!”

Devon und Lou sahen ihren Captain an. Sollten sie in Captain O'Haras Büro kommen oder wollte sie nur ihre allgemeine Aufmerksamkeit? Der Captain kam persönlich zu ihnen. Das hieß meist nichts gutes.

„Bewaffneter Überfall auf 'nen Schnapsladen in der 134., ein Toter.”

„Ich hoffe, wir kriegen das in unserem Terminkalender noch unter.” Louis konnte sich eine Frotzelei nicht verkneifen.

„Wenn nicht, bringe ich es in Ihrem Kalender unter, Gentlemen. Ich denke, der Ballistikbericht könnte Sie interessieren.”

Devon nahm dem Captain den Bericht aus der Hand und warf einen Blick auf das Blatt.

„Ist nicht drin!”

Devon reichte den Bericht unter den Augen des lächelnden Captains an seinen Partner weiter.

„Ist unsere Mordwaffe. Wie zum Teufel kommt unsere Mordwaffe an den Ort eines Überfalls?”

Louis starrte auf das Stück Papier als würde es den Hotelmord aufklären, wenn er nur lange genug hinsah.

„Der Anwalt ist auf der Flucht und hatte nicht genug Bargeld. Wenn er seine Kreditkarte benutzt, lockt er uns auf seine Spur. Er ist verzweifelt und überfällt den Schnapsladen. Ist dünn, ich weiß.”

„Verdammt dünn”, warfen der Captain und Devon im Chor ein, als hätten sie wochenlang dafür geprobt.

„Kommt noch besser. Wie kommt unsere Tatwaffe an UNSEREN Tatort?”

„Der Ehemann hat sie mitgebracht?”, fragte Devon in einem unsicheren Tonfall, der klarmacht, dass die Frage eher rhetorisch war.

„Sie wurde gestern Mittag als gestohlen gemeldet.”

Aus Devons und Captain O'Haras Duett wurde ein Trio.

„Das stinkt.”

„Das stinkt sogar gewaltig”, ergänzte Louis. „Wenn ich spekulieren sollte, und ihr wisst, wie ungern ich das tue, würde ich sagen, der Ehemann meldet seine Waffe als gestohlen, um seine Frau und ihre Kleine umzunieten und dann 'Ich war es nicht' sagen zu können.”

Der Captain schüttelte den Kopf. „Und stattdessen erschießt er seine Frau und begeht dann Selbstmord? Lassen Sie sich was besseres einfallen.”

„Was besseres habe ich ich nicht. Was dümmeres? Der Anwalt erschießt den Ehemann, vögelt dann die Alte und erschießt sie auch.”

„Das ist dümmer. Schön, dass Sie das alleine einsehen. Und jetzt sehen Sie sich den Schnapsladen an.”

„Hat der Tote 'nen Namen?”

„Ein Wachmann namens Mitch Adams”, gab der Captain zurück.

***


Wenn erwartet wird, dass ein Fall schnell und diskret gelöst wird, sind Sackgasse das letzte, was man braucht. Dieser Fall schien sich als Anwärter auf die Top Ten der Fälle mit den meisten Sackgassen bewerben zu wollen.

„Scheiße!”

Devon nickte zustimmend. „Mitch Adams. Großartig”, brummte er. „Zumindest wissen wir jetzt, warum Mr. Adams nicht auf dem Revier erschienen ist.”

„Ach deshalb! Hätte uns wenigstens anrufen können. 'Ich bin unterwegs. Will nur noch in 'nen Schnapsladen und mich erschießen lassen.' So 'ne verdammte Scheiße! Ich hoffe das bringt was, dass wir uns hier umsehen.”

Devon gab seinem Partner die nächste Kopfnuss. Nr. … Er hatte aufgehört zu zählen.

„Reg Dich ab Mann! Wahrscheinlich hätten wir sowieso nicht viel erfahren.”

„Hey, man erwartet Ergebnisse von uns. Eigentlich hätten wir den Fall schon lösen sollen, bevor es passiert ist, wie in dem scheiß 'Minority Report'. Die Nacht war kurz und ich hab' 'nen Schädel in dem Bulldozer um die Wette fahren. Ein Zeuge, der garantiert was gesehen hat, ist tot und Du sagst, ich soll mich abregen! Ich sag Dir was: Gibst Du mir heute noch eine Kopfnuss, vögele ich beide Brautjungfern noch auf eurer Hochzeit!”

Lou ging mit saurem Gesicht zur Tür des Schnapsladens.

„Ich glaube nicht, dass Deine Energie für beide Brautjungfern ausreicht”, rief Devon ihm grinsend hinterher. „War'n früher Pornostars.”

Lou hob die rechte Hand und ballte vier Finger zur Faust.

„Also die Kurzfassung bitte”, sprach Louis den Inhaber des Ladens schon von weitem an. „Was war hier los?”

Der Ladenbesitzer war ein älterer Schwarzer, der offenbar schon mehr als einen Überfall erlebt hatte. Die Geschehnisse schockierten ihn in keiner Weise und er sah den Detective vollkommen abgeklärt an.

„Die Kurzfassung?”, fragte er mit der Stimme eines Mannes, der seit mindestens 40 Jahren eine Schachtel Zigaretten am Tag rauchte. „Die Kurzfassung ist, dass der erste Kunde heute erschossen wurde. So 'n Wachmann. Meinte, er müsse vor der Schicht noch zu den Bullen, irgend 'ne Aussage machen und wollte vorher noch 'ne Schachtel Zigaretten. Kommt jeden Mittwoch um vier und holt 'ne Schachtel Marlboro Menthol. Hab' noch gescherzt, er brauche eine neue Uhr, weil er drei Stunden zu früh dran ist. Hat gelacht, mir das mit der Aussage erklärt und bezahlt. Wollte gerade gehen, als so 'n verlauster Nigger reinkam, mit 'ner Wumme rumfuchtelte und meine Kohle wollte. Der Wachmann war so blöd den Helden spielen zu wollen.”

„Das war's?”

„Das war's, Sir. Das ist alles, was passiert ist.”

„Mist”, murmelte Louis.

„Besonders für den Wachmann.”

„Hmmm … Danke erst mal.”

„Gerne”, antwortete der Ladenbesitzer. „Schnappen Sie einfach den Mistkerl. Wenn Stammkunden erschossen werden, ist das schlecht fürs Geschäft.”

Louis nickte nur und ging zur Tür. Es verstand sich von selbst, dass sie den Räuber fangen würden. Sie hatten schließlich ein paar Fragen zu seiner Waffe. Bevor er die Tür hinter sich zufallen ließ, drehte sich Louis noch einmal um.

„Ein verlauster Nigger?”

„Was soll's?”, gab der Mann hinter dem Tresen grinsend zurück. „Ich bin schwarz, keine Weißbrot. Ich darf das sagen.”

„Finde ich fast rassistisch.”

„Ist es auch”, grinste der Ladenbesitzer.

„Haben Sie 'ne Überwachungskamera? Können wir die Aufzeichnung vom Zeitpunkt des Überfalls haben? Dann wüssten wir, nach wem wir suchen müssen.”

„Hab was besseres.” Der Ladenbesitzer griff in das Kaugummi-Regal und brachte eine kleine Digitalkamera hervor. „Jeder weiß, wo die Überwachungskameras sind und vermeidet, ins Bild zu kommen. Deshalb habe ich das hier. Macht gestochen scharfe Fotos.”

Louis nahm die Speicherkarte entgegen, nickte dankend und ging.

„Detective!”, rief der Ladenbesitzer ihm hinterher, als Louis schon an der Tür war. Lou drehte sich gerade rechtzeitig um, um eine Schachtel Aspirin aufzufangen, die ihm entgegen flog. „Sehen aus, als könnten sie 's gebrauchen.”

Louis nickt noch einmal und verließ das Geschäft. Was eine Spur sein sollte, hatte sie keinen Fuß breit weitergebracht. Einzig eine weitere Fahndung nach einer weiteren Person konnte er veranlassen und die Waffe hatte der Räuber bei dem Glück, das ihnen mit diesem Fall beschieden war, wahrscheinlich auch nicht mehr. Nichts von alledem war geeignet, gute Laune zuschaffen.

„Und?”

Louis brummte missmutig und gab seinem Partner die Speicherkarte.

„Wir suchen 'nen verlausten Nigger.”

„Seit wann bist Du Rassist?”, wunderte sich Devon-

„Bin ich nicht. Hat der Ladenbesitzer gesagt und der ist auch 'n Schwarzer.”

„Also erstmal 'ne Sackgasse.”

„Sieht so aus”, grummelte Louis, als er sich hinter das Lenkrad setzte. „Sieht so aus.”

***


Fotos flackerten über den Bildschirm. Die Karte aus der Kamera des Ladenbesitzers offenbarte einen Afroamerikaner im Alter von vielleicht 30 Jahren. Nicht groß, von drahtiger Gestalt und mit Locken wie Kojak.

„Henry Otumba”, rief Devon plötzlich erfreut aus, als der Abgleich mit alten Polizeifotos endlich einen Treffer ergab. Er drehte Louis den Monitor hin und grinste selbstgefällig. „Zumindest können wir jetzt die Spur unserer Tatwaffe verfolgen. Irgendwoher muss er sie ja haben.”

Louis runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als wäre alles, was der Computer zeigte falsch, als passten die Dinge nicht ins Bild.

„Gelegenheitsdiebstähle, hat mit Pott gedealt – das ist 'n Kleingauner. Hat den Wachmann nicht erschossen.”

„Kleine Gauner wachsen manchmal”, hielt Devon dagegen. „Henry brauchte Kohle und überfiel den Laden. Die Sache ging schief und der Wachmann war tot.”

„Grundsätzlich haltbar. Aber wenn die Kugel wirklich aus unserer Tatwaffe stammt, hat Henry nicht geschossen.”

Sich am verwirrten Blick seines Partners ergötzend drehte Louis seinen Bildschirm um, der eine Ausschnittvergrößerung des Fotos aus dem Laden zeigte.

„Henry hat 'nen Revolver”, kommentierte Lou. „Die Tatwaffe ist 'ne Glock 18. Henry war es nicht und unser Anwalt ist wieder im Spiel.”

„Befragen wir ihn! Könnte uns weiterbringen. Aber diesmal fahren wir hin, bevor er auch noch erschossen wird.”

Devon nahm seine Jacke und ging zum Ausgang. Louis blieb sitzen.

„Kommst Du?”

„Muss kurz telefonieren.”

„Mach hin!”

Louis griff zum Hörer und wählte die Nummer der Gerichtsmedizin. Das Telefon klingelte dreimal, es klingelte fünfmal, aber der Doktor schien zu beschäftigt zu sein um sich mit den Sorgen eines Ermittlers zu plagen. Der Detective legte auf, starrte eine Weile auf die rechte obere Ecke des Bildschirms und griff erneut zum Telefon. Geduldig ließ er es klingeln und wartete, während sein Partner nervös mit dem Fuß auf den Boden tippte.

„Wenn Du willst, fahr schon vor!”, winkte Louis seinem Partner zu und legte dem Freizeichen im Telefonhörer lauschend den Kopf in den Nacken.

„Erzählst Du mir wenigstens, was Du hast?”

Louis zeigte auf den Bildschirm, als am anderen Ende der Telefonleitung endlich der Hörer abgehoben wurde.

„Wer stört meinen Schönheitsschlaf?”

„Hab gerade frischen Kaffee aufgesetzt, Maggie”, antwortete Louis grinsend. „Kriegst einen Becher ab, wenn Du mir einen Gefallen tust.”

„Nämlich?”

„Ich schicke Dir mal ein Foto. Rechts oben ist ein Gesicht. Schau mal bitte, ob Du es deutlicher kriegst und ob Du einen Namen dazu findest.”

Am anderen Ende breitete sich Schweigen aus.

„Der Schatten in der Nähe der Eingangstür?”, fragte Maggie schließlich.

„Genau, sieht für mich aus, als würde derjenige seinen Arm heben.”

Erneut schwieg Maggie. Devon war neugierig geworden.

„Meinst Du, der hält 'ne Waffe?”

„Richtig. Und auf den ersten Blick sieht er nicht wie unser Anwalt aus.”

Im Telefonhörer herrschte immer noch Schweigen, aber Louis hörte das Klappern einer Tastatur. Maggie arbeitete also am Foto.

„Ich schick Dir das Foto bearbeitet zurück. Ein Datenbankabgleich läuft gerade”, drang die Stimme der rothaarigen Dame aus dem Kriminallabor schließlich an Louis Ohr. „Ich komme dann, meinen Kaffee zu holen.”

„Ist gut, ich mache die Maschine fertig.”

Louis ging seelenruhig zur Kaffeemaschine, goss Wasser in den Tank, schüttete Kaffeepulver in den Filter und drückte den Einschalter. Dann sah er sich die Vergrößerung des Fotos an, die Maggie ihm geschickt hatte.

„Eindeutig nicht der Anwalt”, murmelte Louis.

„Zielt eindeutig mit 'ner Waffe auf jemanden”, ergänzte Devon. „Dann können wir uns das Interview mit Mr. Otumba sparen.”

„Ich würde gerne sein Sicht auf die Ereignisse hören. Wer weiß, ob uns das nicht ein wenig erleuchtet. Außerdem können wir augenblicklich nicht viel mehr tun.”

Devon nickte. „Vielleicht finden wir raus, warum jemand den Wachmann umlegen sollte.”

„Vielleicht”, entgegnete Louis, „müssten wir das schon wissen. Woher wusste der Ehemann, dass die Oldenheimer im Hotel ist? Weil der Wachmann ihm das gesagt hat?”

Devon nickte. „Und dann war der Wachmann ein ungeliebter Zeuge. Klingt, als hätte jemand geplant, die Aggressivität des Ehemannes auszunutzen, um die Immobilientante aus dem Weg zu räumen. Aber warum?”

Lou zuckte mit den Schultern und ging zur Tür.

***


„Er wird sich zieren wie 'ne Zicke am Strick.”

Devons Gesicht zeigte deutlich, dass er nicht erwartete, von Henry Otumba herzlich aufgenommen zu werden. Louis nickte nur und klopfte an Otumbas Tür.

„Mr. Otumba? N.Y.P.D, machen Sie bitte auf!”

Die Tür öffnete sich einen Spalt.

„Henry ist nicht hier”, sagte eine Frauenstimme. „Was wollen Sie von ihm?”

„Wir haben nur ein paar Fragen, Ma'am”, erwiderte Devon. „Wann wird Mr. Otumba zurück sein?”

„Weiß nicht”, meinte die Frau schnippisch.

Louis blickte zur Seite, als er Schritte von der Treppe hörte. Henry Otumba sah die Polizisten, fluchte und kehrte um.

„N.Y.P.D.! Stehenbleiben!”, riefen die Cops wie mit einer Stimme.

Louis wartete nicht lange und rannte hinterher. Zwei Stufen auf einmal nehmend zog er im Laufen seine Waffe. Die Haustür schlug zu, so dass Louis nicht sah, wohin Otumba gerannt war. Vorsichtig öffnete er die Tür und steckte den Kopf nach draußen. Henry Otumba war nach rechts gelaufen und rannte was die Beine hergaben. Louis rannte hinterher. Er drehte sich kurz um, als er hinter sich einen dumpfen Schlag hörte. Devon hielt sich die Nase, als er durch die Tür kam. Offenbar wollte er direkt nach Lou durch die Tür, war aber nicht schnell genug.

Louis grinste und setzte die Verfolgung fort.

„Mr. Otumba, bleiben Sie stehen!”

Henry Otumba achtete nicht auf die Aufforderung des Polizisten und lief weiter. Sekunden später bog er wieder nach rechts ab. Louis hörte einen Wagen hupen. Henry musste über die Straße gelaufen sein. Ein kurzer Blick genügte Lou, um sich zu orientieren, als er an der Kreuzung angekommen war. Er hatte aufgeholt. Louis blieb auf derselben Straßenseite und zwängte sich eilig durch die Menschen. Henry Otumba blickte sich um und sah keinen Verfolger mehr. Louis' Plan ging auf, Henry wurde langsamer.

„N.Y.P.D.”, rief Devon ein paar Schritte hinter Louis. „Bleiben Sie stehen, Mr. Otumba!”

Henry sah sich um, entdeckte den Polizisten und wollte wieder die Beine in die Hand nehmen.

„Bleiben Sie stehen!”, brüllte Louis, der sich aus der Menge zu Straßenrand gezwängt hatte, und zielte auf den Flüchtigen. Otumba sah ein, dass es kein Entkommen mehr gab und hob die Hände.

***


„Ich wollte niemandem etwas tun”, sagte Henry Otumba aus. „Die Kanone war nicht mal echt. Wollte nur 'ne Schachtel Zigaretten kaufen, aber der Mann hinterm Tresen hielt's für 'nen Überfall.”

Louis nahm die Aussage nickend zu Kenntnis. Für das Erste war das OK.

„Warum sind Sie dann geflohen?”

Henry blickte auf den Tisch des Verhörraums. „Wegen des toten Cops. Ich bin gerade aus dem Knast raus. Was passiert mir wohl, wenn ich mit 'nem toten Cop erwischt werde? Beim einem angeblichen Überfall?”

„Er war nur ein Wachmann. Sie hätten den Ladenbesitzer aufklären können.”

„Wollte ich ja tun. Kam nicht dazu. Dieser Wachmann oder was immer er war stürzte sich auf mich, dann fiel ein Schuss. Aber ich schwöre Ihnen, ich war's nicht.”

Louis nickte erneut. „Wissen wir. Wir wollen uns auch nur mit Ihnen darüber unterhalten, was passiert ist.”

Henry seufzte kurz und begann zu erzählen: „Ich wollte nur eine Schachtel Marlboro. Die Kanone war nur ein Fake. Ich habe auf niemanden bedroht, nur ein bisschen damit rumgespielt. Ich wollte zu einem Casting.”

„Ein Casting?”

„Ja, für so ein Rap-Video. Ich wollte gerade die Schachtel bestellen als der Ladenbesitzer die Hände hob. Vorher hat er noch irgendwas im Kaugummi-Regal gefummelt. Keine Ahnung, was der da gemacht hat.”

„Ein Foto von Ihnen.”

„So sind Sie also auf mich gekommen.” Henry hob verstehend die Augenbrauen. „Dieser Typ in der Uniform faste mich von hinten an die Schulter, drehte mich um und griff nach meiner Spielzeugknarre. Und dann hat's geknallt. Der Wachmann sackte zusammen und ich sah noch einen Typen in einem Anzug durch die Ladentür rennen.”

„War es der hier?”, fragte Louis und zeigte Henry ein Foto des Anwalts.

„Nein. Ich konnte nicht viel erkennen, aber der Mann auf dem Foto hier ist eindeutig größer.”

„Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, bevor Sie den Laden betraten? Haben Sie den Mann, der geschossen hat zufällig gesehen?”

Henry schüttelte den Kopf. „Nein, da war niemand. Da … Warten Sie! Da war eine schwarze Limo. Verdunkelte Scheiben. So 'ne Mafia-Karre. Als ich aus dem Laden kam fuhr die Kiste gerade weg.”

„Wie viel Zeit verging nach dem Schuss, bis Sie den Laden verließen?”

„Nicht viel”, überlegte Henry Otumba. „Ich habe mich kurz erschrocken umgesehen und dann Fersengeld gegeben. Hey, tut mir leid, aber mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.”

Louis lächelte. „Schade, ich dachte Sie wüssten, wem die Limo gehörte und wohin sie gefahren ist.”

„Nein, weiß ich nicht. Aber der Wagen müsste 'ne Beule haben. Und 'nen kaputten Scheinwerfer. Hat beim Losfahren einen Lieferwagen gestreift.”

„Was für ein Lieferwagen?”

Henry machte eine wage Handbewegung. „So ein Paketservice. Irgendwas mit U. Der Fahrer hat sich tierisch aufgeregt, weil die Limousine einfach weitergefahren ist.”

„Wissen Sie, Mr. Otumba”, sagte Louis mit einem freudigen Lächeln, „Sie haben uns vielleicht weiter geholfen, als Sie denken. Sie können gehen, wenn Sie wollen. Sie sollten aber die Sache mit dem Ladenbesitzer klären. Der Höflichkeit halber.”



Devon war nicht so überzeugt davon, dass Henry Otumba eine Hilfe war. Sie wussten jetzt, dass der Anwalt nicht den Wachmann umgebracht hatte. Das löste aber noch nicht die Morde im Hotel. Ganz plötzlich tauchte eine geheimnisvolle Limousine auf, ganz wie in einem drittklassigen Krimi. Und die ungelöste Frage war immer noch, wie die Tatwaffe aus dem Hotel in das Geschäft gekommen war, in dem der Wachmann erschossen wurde. Und warum zum Kuckuck hatte jemand den Wachmann erschossen?

Louis nahm die Einwände seines Partners nickend zur Kenntnis. Er stimmte zu, dass es viele offene Fragen gab. Aber vielleicht hatte sich eine Spur ergeben, ein Hinweis, der zu einem weiteren Hinweis führen würde.

„Wir brauchen einen geschäftlichen Hintergrund der Oldenheimer”, erklärte Louis seinem Partner. „Die letzten zwei oder drei Wochen reichen möglicherweise. Und wir brauchen einen Verbindungsnachweis von gestern Abend für das Telefon des Ehemannes. Ich kümmere mich um die Telefongesellschaft, wenn Du Dich um den Hintergrund der Oldenheimer kümmerst. Ich habe da die Theorie, dass um mehr ging als nur um Eheprobleme.”

„Nämlich?”

„Werden wir sehen. Janice?”, rief Louis durch den Saal. „Hat jemand einen Verkehrsunfall in der 134. gemeldet? Eine Limousine, die einen Lieferwagen gerammt hat?”

Janice, das „Mädchen für alles” im Revier, blickte auf. „Ist gerade reingekommen. Woher wissen Sie das schon?”

„Ein Vögelchen hat's gesungen. Haben wir das Kennzeichen der Limousine?”

Janice sah auf ihren Bildschirm. „Die Limo ist auf einen Vincent Parelli zugelassen.”

„Der Badeunfall?”, wunderte sich Devon.

„Ist jetzt wirklich 'ne Überraschung. Ich hatte auf jemanden anders gehofft.”

„Auf wen?”

„Weiß nicht. Jedenfalls nicht Parelli. Ein Toter kann nämlich niemanden töten. Meinst Du, die Familie hat 'nen Schlüssel für Parellis Wagen?”

Devon zuckte die Schultern. „Ist nicht auszuschließen. Hoffst Du, dass jetzt plötzlich die Spuren vom Himmel purzeln?”

„Äh … ja. Wäre schon schön.”

„Na dann”, witzelte Devon, „hoffen wir, dass der Anwalt herkommt, sich stellt und gesteht.”

„Auch das wäre schön”, wünschte sich Louis. „Für den Anfang reicht mir, zu wissen, wer der Mann auf dem Foto ist, der den Wachmann erschossen hat.”

„Angelo Parelli.”

Louis drehte sich um und sah Susan O'Hara ins Gesicht, die ihm eine Akte zuwarf.

„Die zukünftige Mrs. Stanz hat's gerade durchgegeben. Sie wusste nicht, ob Sie schon zurück sind und dachte, der Captain könnte mal Ihre Sekretärin spielen.”

„Vincents großer Bruder? Scheint, als müssten Sie uns den Fall wiedergeben.”

Der Captain nickte. In der Welt des Verbrechens gibt es keine Zufälle, also mussten der Parelli-Fall und der Mord an der Immobilienmaklerin und ihrem Ehemann zusammenhängen.

„Vielleicht hat Mrs. Oldenheimer etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen sollen”, mutmaßte O'Hara. „Dafür hat Angelo sie aus dem Verkehr gezogen.”

Louis schüttelte den Kopf. „Ist nicht auf den Überwachungsvideos des Hotels. Der Anwalt der Maklerin ist der Schlüssel.”

„Dann suchen Sie ihn, Gentlemen!”

Captain O'Hara drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in ihrem Büro. Louis blickte ihr nachdenklich hinterher. Vielleicht lag der Captain nicht ganz falsch und der Anwalt war nur ein Werkzeug gewesen. Vielleicht …

„Die Oldenheimer wollte ein Objekt am Hafen an den Mann bringen”, unterbrach Devon Louis' Gedanken. „Nicht weit von der Stelle, an der Vincent Parelli gefunden wurde. Ihr elektronischer Terminkalender zeigt einen Besichtigungstermin um die Zeit, die als Todeszeit Parellis angenommen wird.”

„Du meinst, der Captain hat recht?”

„Die Oldenheimer hat vielleicht den Mord gesehen. Wenn sie wirklich Unterweltkontakte hatte, wusste wahrscheinlich jemand von den Scheidungsplänen. Einfach den eifersüchtigen und als gewalttätig bekannten Ehemann zu einer kompromittierenden Situation rufen, der erledigt den Rest.”

„Und hat das Pech”, ergänzte Louis, „selbst dabei draufzugehen.”

„So ungefähr. Aber wie kriegt man den Ehemann ins Hotel?”

Louis zeigte seinem Partner den Verbindungsnachweis, den er gerade auf seinem Monitor hatte.

„Jemand aus dem Hotel rief ihn an. Warte kurz”.

Louis griff zum Telefon und wählt die Nummer des Hotels, von der aus Valentino DiLante angerufen worden war.

„Grand Central Hotel, Sicherheitsdienst, guten Tag?”

Louis fühlte sich in seiner Ahnung bestätigt.

„Detective Lou Cifer, N.Y.P.D. Verzeihen Sie die Störung, Sir, ich wollte nur wissen, wessen Nummer das ist.”

Lou legte auf.

„Der Sicherheitsdienst?”, riet Stanz.

„Der Sicherheitsdienst”, bestätigte Louis. „Der Wachmann rief im Auftrag der Familie den Ehemann an und wurde umgelegt, damit er das nicht ausplaudern kann. Klingt das plausibel?”

„Ja. Nur wie kam Angelo an die Mordwaffe aus dem Hotel?”

„Hat dem Anwalt aufgelauert und sie ihm weggenommen. Hat den Anwalt umgelegt. Ein unangenehmer Zeuge weniger.”

Die Indizien sagten, dass der Mord an der Grundstücksmaklerin von Onkel Antonio und der Familie eingefädelt worden sein könnten. Lass den eifersüchtigen und als gewalttätig bekannten Ehemann die Drecksarbeit tun und halte Deine Hände sauber. Dumm nur, wenn so ein Plan nicht funktioniert, wenn etwas anders läuft, als geplant. Jetzt fehlten den Cops nur noch die Beweise für diese Theorie.

Louis konnte seinen Gedanken nicht bis zum Ende spinnen. Er wollte gerade eine wasserdichte mentale Beweiskette aufbauen, als ihn die Stimme eines Mannes unterbrach.

„Sind Sie die Detectives, die den Tod von Mrs. Oldenheimer untersuchen?”

Devon blickte auf, Louis drehte sich um und die Partner verharrten in ihren Bewegungen, als hätte die Schneekönigin sie eingefroren.

„Mein Name ist Frank Hobarth. Ich bin hier, um mich zu stellen und eine Aussage zu machen.”

So plötzlich Louis und Devon erstarrt waren, so schnell tauten sie wieder auf. Sollten sie einmal mehr Glück haben und der Zufall ihnen bei der Lösung eines Falles voller Sackgasse behilflich sein?

Der Anwalt streckte seine Arme vor.

„Ich schätze, es ist Ihre Aufgabe, mich zu verhaften.”

„Immer schön langsam, Mr. Hobarth”, antwortete Lou, der als erster seine Fähigkeit, sich zu artikulieren wiederfand. „Zuerst wollen wir hören, was Sie zu sagen haben.”

***


„Möchten Sie etwas trinken, Mr. Hobarth?”

Devon hielt dem Anwalt eine Flasche Wasser hin. Es war warm und stickig im Verhörraum. Frank Hobarth nahm die Flasche dankend an.

„Ich nehme an, Sie werden anschließend meine Fingerabdrücke von der Flasche nehmen. Das ist aber nicht nötig. Ich habe vor, Ihnen alles zu sagen. Ein vollständiges Geständnis, wenn Sie so wollen.”

„Das erleichtert uns die Arbeit und rettet mir den Tag”, gab Louis zurück. „Zunächst müssen wir Sie darüber belehren …”

„Ich bin Anwalt, Detective. Ich kenne meine Rechte und weiß, was auf mich zukommt.”

Frank Hobarth sprach ruhig und gelassen, trotzdem sah Louis in seinen Augen ganz deutlich eine gewisse Nervosität.

„Ihr erstes Mal als Verdächtiger, richtig?”

Der Anwalt nickt mit einem Hauch Erleichterung im Gesicht. „Ja.”

„Gut”, begann Lou. „Sie sind Frank Hobarth, 28 Jahre, Anwalt, auf Scheidungen spezialisiert?”

„Das ist richtig.”

„Soweit wir wissen, hatte Mrs. Oldenheimer die Scheidung ihrer Ehe beantragt. Sie vertraten sie?”

„Auch das stimmt. Deshalb suchte ich sie gestern im Hotel auf.”

Louis nickte, machte eine kurze Pause um dem Anwalt die Gelegenheit zu geben, sich noch einmal zu sammeln und nickte schließlich auffordernd.

„Erzählen Sie und mit Ihren Worten, was gestern Abend geschah!”

Der Anwalt senkte für einen Moment den Blick.

„Ich war gestern Abend mit Mrs. Oldenheimer im Hotel verabredet, um mit ihr Details zu ihrer Scheidungsklage zu besprechen. Ich traf gegen fünf am Hotel ein. Mrs. Oldenheimer wartete vor der Eingangstür. Wir checkten ein. Sie hielt es dabei für besser, mich unter einem anderen Namen anzumelden. Warum Sie überhaupt uns beide eincheckte, verstand ich nicht. Ich wollte nach unserer Unterredung wieder gehen. Aber Mrs. Oldenheimer bestand darauf, zwei Personen anzumelden.”

„Vielleicht, weil es unauffälliger ist, wenn der Mann, mit dem man vielleicht die Nacht verbringen will auch in den Unterlagen auftaucht?”, hakte Louis nach. „Sich einen Mann nur für Stunden auf das Zimmer zu nehmen, könnte sowohl ihn als auch die Dame in Verruf bringen.”

„Nein, das war niemals ein Thema. Wie kommen Sie darauf?”

Devon legte den Kopf schief, als würde er die Aussage des Anwalts nicht recht glauben.

„Wir fanden Sperma in der Vagina und dem Anus der Toten. Die DNA stimmt nicht mit der des Ehemannes überein. Die Frage meines Kollegen ist also naheliegend.”

Frank Hobarth nickte.

„Mrs. Oldenheimer war lesbisch”, erklärte der Anwalt. Die Cops sahen sich in ihren Vermutungen bestätigt und nickten. Hobarth fuhr fort: „Und ich habe einen Freund. Sie sehen also, Mrs. Oldenheimer und ich hatten keinerlei sexuelles Interesse aneinander. Dennoch kann ich Ihnen die Spermaspuren erklären.”

Der Anwalt machte eine Pause und holte tief Luft.

„Verzeihen Sie, Gentlemen, das ist nicht einfach für. Ihnen das Kommende zu schilder, meine ich.”

Devon nickte dem Anwalt beruhigend zu. „Lassen Sie sich Zeit!”

Frank Hobarths Gesicht umspielte ein leises dankbares Lächeln. Er legte die Hände zusammen, gerade als würde er beten, berührte mit den Fingerspitzen seinen Mund und schwieg.

„Lassen Sie mich Ihnen helfen, Mr. Hobarth”, unterbrach Louis die Gedanken des Anwalts. „Korrigieren Sie mich da, wo ich falsch liege.”

Der Detective lehnte sich zurück und sortierte kurz seine Gedanken.

„Mrs. Oldenheimers Ehemann hat Sie beide irgendwann überrascht, richtig? Mr. DiLante war als gewaltbereit bekannt. Er erschoss seine Frau und wollte dann Sie töten. Sie wehrten sich und erschossen dabei den Ehemann. Ist nur 'ne wage Theorie. Aber vermutlich dicht an der Wahrheit, oder”.

Mr. Hobarth sah den Polizisten erstaunt an.

„Ja. Ja, so war es.”

„Das nennt man dann Notwehr. Warum sind Sie nicht einfach an Ort und Stelle geblieben und haben uns gerufen?”

„Weil da noch mehr war, Detective”, entgegnete der Anwalt betreten. „Dinge, die peinlich für mich sind.”

Wieder machte Frank Hobarth eine Pause. Devon und Louis warteten geduldig.

„Hat Mr. DiLante Sie gezwungen, seine Frau zu vögeln?”, folgte Louis schließlich einer Eingebung.

Der Anwalt nickte und schwieg. Louis nickt ebenfalls. Wahrscheinlich kam es Hobarth wie eine Vergewaltigung nicht nur der Frau sondern auch seiner selbst vor.

„Es war, als würde er seine Frau und mich gleichzeitig vergewaltigen”, bestätigte der Anwalt dann Louis Gedanken. „Ich musste sie erst von vorne nehmen, dann von hinten. Annettes – Mrs. Oldenheimers – Mann lachte dabei dreckig und holte sich einen runter. Als er fertig war, trat er ans Bett und schoss seiner Frau eine Kugel in den Kopf. Dann richtete er die Waffe auf mich. Ich wehrte mich und ein Schuss löste sich und traf ihn. Ich fühlte mich schmutzig wegen der Dinge, die er mich zu tun gezwungen hatte. Und ich war in Panik. Zwei Menschen waren tot. Einen davon habe ich auf dem Gewissen. Ich zog mich an, nahm die Waffe und verließ das Hotel. Ich wollte die Pistole irgendwie loswerden. Die Waffe, mit der ich einen Menschen ermordet hatte.”

„Ich weiß nicht, ob es Sie tröstet”, unterbrach Devon den Anwalt, „aber es war kein Mord. Wie mein Kollege schon sagte, war es Notwehr.”

„Das macht es für mich nicht viel besser. Der Ehemann ist tot.”

Erneut machte sich Schweigen im Verhörzimmer breit. Die Polizisten warteten, der Zeuge schwieg, das Gesicht in seine Hände gestützt. Als er schließlich seinen Kopf wieder hob, sah Louis einen feuchten Schimmer in den Augen des Anwalts.

„Ist keine Schande, auch mal zu weinen”, kommentierte er. Der Anwalt ließ die Tränen laufen.

„Was geschieht nun mit mir?”

Devon schüttelte seinen Kopf.

„Gar nichts. Sie müssen nur noch Ihre Aussage unterschreiben, dann können Sie gehen, Mr. Hobarth.”

Wieder lächelte der Anwalt erleichtert. Devon lächelte ihm aufmunternd zu. Nur Louis wollte sich noch nicht zu einem freundlichen Ausdruck in seinem Gesicht hinreißen lassen. Etwas fehlte noch.

„Ganz fertig sind wir leider noch nicht”, sprach Devons Partner den Anwalt darum an. „Da ist noch die Sache mit der Waffe. Ein Wachmann aus dem Hotel wurde damit erschossen.”

Erschrocken sah der Anwalt auf. „Ich habe damit nichts zu tun! Ich haben diesen Wachmann nicht erschossen!”

„Wissen wir. Aber wie wurde Sie die Waffe los?”

Frank Hobarth versank kurz in Gedanken.

„Ich wollte sie wegwerfen. Ich … ich lief eine Weile ziellos durch die Stadt und als ich am Fluss ankam, wollte ich sie eigentlich reinwerfen. So ein Kerl im Maßanzug meinte, das wäre eine schlechte Idee. Sie würden die Waffe mit Sicherheit finden und zu mir zurückverfolgen.”

„Deshalb gaben Sie die Waffe diesem Mann?”, bohrte Louis weiter.

„Hören Sie”, erwiderte der Anwalt, indem er die Arme hob, „ich bin nur ein Anwalt. Ich weiß nicht, was Sie alles können und was nicht. Der Mann meinte, er würde die Waffe spurlos entsorgen. Was hätten Sie getan?”

„Gerade als Anwalt hätten Sie wissen sollen, dass Sie mit der Waffe zu kommen sollten.”

„Ich …”, begann Mr. Hobarth.

„Ich schiebe es auf die Situation. Es war eine Ausnahmesituation für Sie, Sie waren in Stress und in Panik. Können Sie den Mann beschreiben?”

Der Anwalt stotterte. „Nun … ja, ich denke, ich könnte …”

„War es dieser Mann?”, half Louis aus und legte dem Anwalt ein Foto von Angelo Parelli vor.

„Ja, genau der war's!”

„Kennen Sie den Mann?”

„Nein, ich sah ihn heute zum ersten Mal.”

Louis nickte und lehnte sich zurück. Jetzt lächelte auch er. Der Mörder der Maklerin war tot, der Ehemann wurde in Notwehr erschossen. Und Angelo Parelli würde zumindest wegen des Mordes an Mitch Adams hinter Gitter kommen. Fall gelöst. Das Leben konnte so schön sein.

***


„Lässt Dich Dein Instinkt heute ruhig schlafen?”

Louis sah seinen Partner erstaunt über den Rand seines Bierglases an.

„Egal, was mein Instinkt sagt, ich bin müde genug, um zu schlafen wie ein Baby. Warum?”

Devon legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Etwas störte ihn an der plötzlichen Lösung des Falles. War es zu einfach? Hatte der Anwalt vielleicht gelogen?

„Du verstehst nicht, warum jemand die Maklerin tot sehen wollte, richtig?”, übernahm Louis das Wort. Devon nickte. Genau das war es, was ihn störte.

„Vielleicht gibt uns Parelli eine Antwort darauf. Dass sie den Mord an Vincent beobachtet hat, ist mir zu simpel.”

„Manchmal sind die Dinge simpel. Und manchmal ist simpel gut.” Louis sah an seinem Partner vorbei und lächelte. „Schön, dass Sie ein wenig Ihrer Freizeit mit Ihren ergebenen Dienern verbringen, Captain.”

Susan O'Hara verzog keine Miene, als sie sich setzte. Sie hob den Arm, um ein Bier zu bestellen und sah ihren „ergebenen Diener” abwechselnd in die Augen.

„Mit irgendetwas nicht zufrieden, Gentlemen?”

Devon wiegte den Kopf hin und her.

„Wir würden gerne wissen, warum jemand die Oldenheimer aus dem Weg haben wollte.”

„Rache”, antwortete O'Hara knapp.

„Rache?”, fragte die Detectives im Chor.

Susan O'Hara nickte. „Die Immobilienmaklerin war nur Fassade. Wir haben Angelo Parelli festgenommen und er hat gesungen wie eine Nachtigall am Abend. Die Oldenheimer hat seinen Bruder in Onkel Antonios Auftrag umgelegt. Ich habe gerade einen kurzen Überblick darüber erhalten, was alles in ihrem Haus gefunden wurde. Waffen, Gift, Betäubungsmittel … Sie hat Vincent ermordet und er wollte ihren Tod. Nur wollte er sich nicht selbst die Finger schmutzig machen. Nicht an der Oldenheimer. Und wissen Sie, was das schöne daran ist, Gentlemen? Wir haben einen Kronzeugen gegen Onkel Antonio.”

Das Leben kann so schön sein, dachte Louis. Drei Fälle an einem Tag – was wollte man mehr?

„Deja vú”, brummte Devon.

„Hä?”

„Ein Rachemord im Grand Central, Zimmer 348. Zum zweiten Mal.”

Louis lachte leise. Diese zweite Parallele war ihm gar nicht bewusst gewesen. Auf dem Zimmer musste doch ein Fluch liegen.

„Ich sag's ja”, grinste er seinen Partner an, „das Hotel sollte das Zimmer nicht mehr vermieten.”

Devon schüttelte den Kopf. Sein Partner und bester Freund würde wohl nie wirklich erwachsen werden. Er setzte sein Glas an und trank den letzten Schluck Bier.

„Ich muss dann.” Devon legte das Geld für sein Bier auf den Tisch. „Wir sehen uns morgen.”

„Gehen Sie schlafen, Stanz”, rief der Captain ihm hinterher, als Devon die Tür der Bar öffnete. „Sie sollten morgen besser ausgeschlafen sein.” Susan O'Hara wandte sich Louis zu. „Und Sie trinken auch aus, Cifer! Ich will sicher gehen, dass Sie morgen pünktlich in der Kirche sind. Also stecke ich Sie heute zeitig in Ihr Bett. Ich hoffe, der Fall hat genug Energie in Ihnen übrig gelassen.”


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